Ein Ausnahme-Konzert

150. Geburtstag Max Regers - 50 Jahre Wuppertaler Orgeltage

von Johannes Vesper

Wolfgang Kläsener, künstlerischer Leiter der Wuppertaler Orgeltage, an der Sauer-Orgel - Foto © Johannes Vesper

Ein Ausnahme-Konzert
 
Jubiläums-Festival zum 150. Geburtstag Max Regers

(50 Jahre Wuppertaler Orgeltage)
 
Bereits zu Lebzeiten wurde Regers Karikatur auf Lebkuchen gebacken und kulinarisch genossen. Maßhalten war nicht sein Ding, weder beim Essen und Trinken noch beim Komponieren. Er trank phasenweise Unmengen Alkohol, in Abstinenzphasen nach Konzerten bis zu 10 l Zitronenlimonade, aß über jeden Appetit, bestellte gelegentlich im Restaurant „zwei Stunden lang Beefsteak“ und rauchte während seiner „Sturm und Trankzeit“ (1890-1908) in Wiesbaden bis zu 20 dicke Brasilzigarren pro Tag. Max Reger (1873-1916) starb hochgradig adipös mit 43 Jahren am 11. Mai 1916 am Herzinfarkt und auf seinem Nachttisch lag in der Todesnacht einer seiner geistlichen Gesänge: „Der Mensch lebt und besteht nur eine kleine Zeit“.
Entsprechend der Forderung Arnold Schönbergs „Reger muß (…) viel gebracht werden“ hatten die Wuppertaler Orgeltage e.V. zu diesem großen Festkonzert in drei Teilen mit zwei Pausen, in den Großen Saal der Historischen Stadthalle Wuppertal eingeladen. Immerhin war Max Reger zu Lebzeiten viermal persönlich zu Konzerten in Wuppertal gewesen und hatte hier am 12.11. 1913 die Meininger Hofkapelle als ihr Kapellmeister dirigiert, obwohl er von seiner Alkoholkrankheit gezeichnet, den Taktstock kaum mehr halten konnte.
 
Zu Beginn dieses Ausnahmekonzertes spielte Wolfgang Kläsener seine Orgelbearbeitung der Valse d àmour (aus der Ballettsuite op. 130, Nr. 5): ein wahrer Appetitan`reger, große Drehorgel, wie man sie auf dem Jahrmarkt nicht zu hören bekommt.
In der Choralkantate „Vom Himmel hoch da komm ich her“ setzt sich Max Reger wie so oft mit dem protestantischen Choral auseinander, treibt die komplexen, musikalischen Strukturen J. S. Bachs in kompliziertester Harmonik bis an die Grenzen der Tonalität. Anrührend sang der St. Antonius Kinderchor, verstärkt durch einige Mädchenkurrendanerinnen, zur Orgel und zu zwei Geigen. Die innige zarte Klangfülle unter Stefan Starnberger gewann oratorische Dimensionen bei den beiden Strophen, die das gesamte Publikum nach Partitur mitsang.


Streichquartett: Liviu Neagu-Gruber, Axel Hess, Florian Glockler, Joel Wöpke - Foto © Johannes Vesper

Das Streichquartett d-moll (WoOII/2 aus dem Jahre 1889) komponierte der jugendliche Max im Alter von 16 Jahren kurz nach seinem Besuch der Bayreuther Festspiele. Parsifal hatte ihm die Faszination des Komponierens erschlossen. Wunderbare Kantilenen, geheimnisvolles Tremolo, edler warmer Ensembleklang, dynamische Ausbrüche fesselten die Zuhörer beim langsamen 2. Satz wie auch beim furiosen Finalsatz („Aufschwung“). Lupenrein, kultiviert und spannend glänzten Liviu Neagu-Gruber, Axel Hess, Florian Glockler, Joel Wöpke aus dem Wuppertaler Sinfonieorchester mit diesem hochromantischen Quartett. Der fehlende Kontrabaß, vom Komponisten zu Ehren seines Kontrabaß spielenden Vaters vorgesehen, war tatsächlich überflüssig. Nur kurze Zeit, nachdem Max dieses Jugendwerk komponiert hatte, wurde seine Alkoholabhängigkeit manifest.
Mit der zunächst musikantisch frischen Fuge „Gloria sei dir gesungen“ (op. 52 Nr. 2) beendete W. Kläsener den ersten Teil dieses denkwürdigen Konzertes. Da strahlte die herrliche Sauer-Orgel, mystisch angestrahlt, über dem gewaltigen Cantus firmus Thema in der Tiefe. Die Orgel gilt zu Recht als „Harfe der Titanen“.
 
Im zweiten Teil war Simon Schuttemeier mit der Toccata d-Moll und Fuge D-Dur (Orgelstücke op. 59) zu hören. Kompositorisch äußerst ideenreich und hoch virtuos, entsprach die Toccata fast einer freien Improvisation, an die sich wie so oft bei Reger die Fuge anschloß: geheimnisvoll im pp aufsteigend, gewinnt sie im Verlauf ungeheuer an Dichte und Kraft, das Thema zerschlagend. Da tat sich der Orkus auf und die Königin der Instrumente brachte die Eingeweide zum Schwingen, wenn das Fernwerk der Orgel nicht gerade Himmelsmusik von oben suggerierte. Moderator Michael Schwalb wies zu Recht auf den Gegensatz zwischen wilhelminischem Bombast und nahezu psychoanalytischer Innerlichkeit bei Max Reger hin. Mit seinen Anekdoten und Erläuterungen zwischen den Programmpunkten brachte der Regerbiograph unterhaltsam wie kenntnisreich dem Publikum den Komponisten wie auch sein Werk nahe.


Chor der Konzertgesellschaft, Mädchenkurrende, Leitung Georg Leisse - Foto © Johannes Vesper

Bei der Choralkantate „Meinen Jesum laß ich nicht“ für Sopran, Violine, Viola, Chor und Gemeinde (Mädchenkantorei -Einstudierung Angelika Küpper-, Chor der Konzertgesellschaft) für Sopran, Chor Orgel, Violine wurde der Solosopran von der Mädchenkantorei übernommen. Unter dem souveränen und klaren Dirigat Georg Leisses entwickelte sich beeindruckender Chorklang in diesem verhaltenen, durchsichtig komponierten Stück, welches eher für eine Kirche als einer neobarocken Konzerthalle geeignet zu sein scheint. Es wurde aber als Auftragswerk für die Leipziger Universität komponiert.
Vor der zweiten Pause spielte Achim Maertins Introduktion und Passacaglia f-Moll op. 63. Mit vollem Werk schritt da schicksalhaft und unerbittlich das Ostinato voran, wechselte mit stilleren leisen kontemplativen Episoden und immer wieder fiel die erstaunliche akustische Präsenz der Orgel bei Registerwechseln auf. Unter Vergrößerungen, Akkordkaskaden, 32el- Fetzen fand Max Reger erst im lang gehaltenen fff- Schlußakkord zur Grundtonart zurück.
 
Der dritte Konzertteil begann mit Fantasie und Fuge d-Moll op. 135b (Sebastian Söder). Hier entwickelte sich ein anderer musikalischer Charakter. Da huschten leise Arpeggien ins Ohr, bevor es chromatisch, schnell losbrauste und der Boden existenzgefährdend unter den Füßen zu wanken schien. Bei andauerndem Legato endete das Ganze in fließendem „Klangbrei“. Wie hätte Max Reger, wäre er nicht so früh gestorben, wohl weiter komponiert?
Die Amici del Canto sangen unter Dennis Hansel-Dinar a cappella „Frühlingsblick“ aus op. 39 für sechsstimmigen Chor und „Der Mensch lebt und bestehet nur eine kleine Zeit aus op. 138. Damit hatte sich Max Reger am Vorabend seines Todes beschäftigt. Ergreifend, klar, mit höchstem Ausdruck, souverän in hohen Höhen ausgewogen in den Mittelstimmen wurden Frühlingsnacht und Todesahnung besungen. Ein musikalischer Höhepunkt dieses facettenreichen Konzerts.
Zu allerletzt spielte dann Reger selbst „O Welt ich muß Dich lassen“ op. 67 Nr. 33. Regers Orgelspiel war mit Hilfe der Welte-Technik (Lochstreifen aus Papier) auf speziell dafür eingerichtetem Flügel und/oder Orgel) 1913 aufgenommen worden. So war er zusätzlich zum Konterfei auf der Bühne auch noch als Organist musikalisch im Saal. Erneut starker Applaus des erkennbar tief beeindruckten Publikums in der gut besuchten Stadthalle.